Die tapfere Liese

Früh am Morgen: Mein Schatz ist im Bad. Währenddessen mache ich Licht bei den Vögeln und gebe Lotte ihren Tropfen Metacam. Jetzt brauche ich sie dafür nicht mehr einzufangen. Ich hab beobachtet, an welchen Stellen sie sich beim Klettern meistens mit dem Schnabel festhält, und auf einen dieser Punkte träufele ich ihr die süße Medizin. Lotte hat sich diesen Punkt gemerkt. Wenn ich ihr die Spritze zeige, schleckt sie manchmal schon im Voraus am Käfiggitter – es könnte ja schon was dran sein.

Lottchen schluckt also brav ihre Medizin. Plötzlich höre ich von rechts ein Fiepen. Liese sitzt breitbeinig auf der Stange, das Gefieder gesträubt, die Flügel ausgebreitet, den Schnabel aufgerissen, und würgt ruckartig. Als ich mich an ihren Käfig stelle, riecht es dort abscheulich – die selben Symptome wie neulich, nur dass sie diesmal keinen Schaum vor’m Schnabel hat, sondern nur eine klare Flüssigkeit. Liese hockt zusammengesunken da und blinzelt müde und erschöpft. Verflixt!

Den ganzen Tag über sitze ich wie auf Kohlen. Endlich, am frühen Nachmittag, kann ich wieder heim. Liese hat sich im Käfig mit dem Schnabel an’s Gitter gehängt und sieht völlig fertig aus. Gefressen hat sie heute anscheinend fast nichts. Ich halte ihr den Umsetzkäfig vor die Käfigtür, und zeige ihr auf der anderen Seite ein orangefarbenes Tuch. Sie schimpft, und flüchtet nach einigem Geflatter in den Umsetzkäfig. So. Ein weißes Tuch über den Käfigboden, Käfig über Kopf drehen, Minikäfig für den Transport über die Lücke halten, „Komm, meine Kleine!“ – Liese kommt natürlich nicht, sondern schimpft und schreit. Ich balanciere mit der einen Hand den Minikäfig, angele mit der anderen nach dem bösen orangenen Tuch. Geflatter, Geschrei … schließlich kommt sie dann doch, und sitzt bedröppelt und verschüchtert in der Box. Ich lasse sie in Ruhe, und rufe das Taxi. Eine Stunde Fahrt mit Bahn und Bus, und das bei Regenwetter, kann ich ihr unmöglich zumuten.

Beim Tierarzt müssen wir nicht sehr lange warten. Der schaut in seine Datei, und nimmt dann einen Kropfabstrich und eine Stuhlprobe, die er an ein Labor einschicken will. Liese bekommt eine Spritze mit einem Antibiotikum. Als ich von dem Gestank berichte, kriegt sie außerdem noch Maaloxan in den Kropf gefüllt. Bäh, das findet sie ganz offenbar nicht lecker! Sie würgt etliches davon hoch und schüttelt sich kräftig, bis rund um sie herum alles voll weißer Soße ist. Noch zwei Spritzen soll sie bekommen, eine am Montag, und die andere sieben Tage darauf. Am Montag wird auch das Testergebnis für die Proben da sein. Dann werden wir hoffentlich wissen, ob das Medikament, dass sie bekommen hat, das richtige ist. Außerdem bekomme ich noch neues Metacam für Lotte mit.

Auf der Heimfahrt schaut Liese sich munter um und wirkt nur zu Anfang ein bisschen bedröppelt. Ob sie sich wohl freut, dass sie diesmal gleich wieder nach Hause darf? Der nette Taxifahrer hat mir nicht nur wie ein echter Gentleman in den Wagen geholfen, sondern auch gleich den Innenraum angenehm temperiert. Irgendwo zwischen Mundsburg und Berliner Tor kreischt Die Vogel-Lady allerdings ein paar Mal so markerschütternd, dass uns die Ohren klingeln: Xenon-Scheinwerfer sind aber auch sowas von fies!

Zuhaus nascht Liese gleich etwas von ihrem Futter. Richtig fleißig fressen mag sie aber nicht, obwohl sie es nötig hätte. Sie sieht müde aus – die letzten drei Stunden waren anstrengend. Ob sie mir wegen der Strapazen böse ist? Lockend halte ich ihr einen weißen Sonnenblumenkern hin. Kaum sieht sie das, da reckt sie schon den Hals, kommt vor das Gitter getrippelt, und läßt sich von mir füttern.